Kreativität ist kein Wettkampf

In den letzten Monaten, vor allem während der Lockdown Phasen, waren alle Menschen superkreativ. Diesen Eindruck vermittelten mir zumindest die vielen Instagram Stories auf denen Leinwände, wilde Kuchenkreationen, neue Yoga Arten, von denen ich noch nie was gehört habe, Gedichte oder selbst komponierte Musikstücke zu sehen und zu hören waren. Was ich während des Lockdowns gemacht habe? Die meiste Zeit habe ich im Schlafanzug vor meinem PC verbracht, in der Hoffnung, wenigstens ein paar Minuten pro Tag produktiv zu sein. Mir fehlten die Motivation und Inspiration, um produktiv oder gar kreativ zu sein. Der Druck, etwas zu Schaffen wurde von Tag zu Tag größer und meine Motivation von Tag zu Tag kleiner. Irgendwann habe ich aufgehört mir die tollen Werke meiner virtuellen Instagram Freunde anzusehen und somit wurde auch mein innerlicher Druck kreativ sein zu müssen langsam weniger. Kreativität kann man nicht erzwingen und Inspiration kann man nicht heraufbeschwören, beides kommt und geht und je mehr Druck man sich macht, desto wahrscheinlicher ist es, dass man unkreativ und uninspiriert bleibt. 

Woher kommt dieses Streben nach Kreativität und die damit verbundene Resignation, wenn wir eine unkreative Phase haben und uns die Inspiration fehlt? 

Der Begriff „Kreativitätsdispositiv“ beschreibt die Tatsache, dass die Menschen in unserer westlichen Gegenwartskultur kreativ sein wollen und das auch sollen. Früher haben Menschen vor allem in der Religion oder Politik ihre Erfüllung gesucht. Religion hat in unserer Gesellschaft ihren Stellenwert verloren und deshalb suchen mehr und mehr Menschen im kreativen Schaffen ihre Erfüllung. Angefangen hat dieser gesellschaftliche Wandel mit der künstlerischen Bewegung des Sturm und Drang und der Romantik im 18. und 19. Jahrhundert, wobei die Bewegung ein Gegenpol zur bürgerlichen Gesellschaft war, welche sich damals noch sehr stark an der Kirche orientierte. 

Die Problematik heutzutage liegt darin, dass aus dem Wunsch kreativ zu sein oft ein Zwang wird, denn echte Kreativität ist anstrengend und mit Phasen des Leerlaufs verbunden. Um kreativ zu sein braucht man also nicht nur Inspiration, sondern auch Pausen, geistige Unabhängigkeit und vor allem den Mut, sich der Angst vor dem Versagen zu stellen und sich mit existenziellen Fragen auseinander zu setzen. Oft kommt die Inspiration ganz plötzlich und genau dann, wenn man sie nicht erwartet. Sie kommt meistens, wenn man sich mit seinen eigenen Gedanken und Gefühlen auseinandersetzt, und der Welt reflektierend begegnet und selten, wenn man unter Zuckerschock vor dem TV sitzt oder sich die Instagram Stories von anderen anschaut, die das Bedürfnis haben ihr kreatives Schaffen mit der Welt zu teilen. Kein Wunder also, dass sich viele Menschen vom kreativen Schaffen abwenden und sich lieber auf die weniger mühsamen Seiten des kreativen Prozesses konzentrieren, nämlich auf den Konsum von ästhetischen Reizen und Erlebnissen, die tagtäglich auf uns einprasseln. Somit fühlen sich Menschen trotzdem als Teil der kreativen Welt, ohne dabei selber viel besteuern zu müssen. Der Drang mit den eigenen Händen etwas zu erschaffen bleibt jedoch, wenn auch unterdrückt und im Unterbewussten. 

Was hält uns davon ab unsere Kreativität auszuleben?

Oft glauben wir, dass nur einige wenige Menschen mit der Gabe kreativ zu sein geboren werden, dabei liegt Kreativität in der Natur des Menschen. Wir haben die Sinne dazu, feinfühlige Hände und ein sehr gutes Vorstellungsvermögen. Wenn wir uns umschauen sehen wir, dass alles in unserer Umwelt das von Menschen geschaffen wurde, aus einer Idee entstanden ist. Kreativität ist vielseitig, so wie die Menschheit. Kreativ zu sein bedeutet nicht nur, dass man ein toller Maler, eine Schriftstellerin oder ein Musiker sein muss, man kann auch eine begeisterte Gärtnerin, Köchin oder Handwerkerin sein. Jede Tätigkeit, bei der man etwas erschafft, ist eine kreative Tätigkeit. Jeder Mensch hat andere Fähigkeiten und andere Interessen und sobald wir erkennen, was wir gerne machen und was uns Erfüllung schenkt, wird auch unsere kreative Ader sichtbar werden und die Inspiration, die wir so lange gesucht haben, zu uns kommen. Alles was man dafür tun muss, ist sich selber die Erlaubnis zu geben kreativ zu sein und die Angst zu versagen abzulegen. 

“Recognizing that people’s reactions don’t belong to you is the only sane way to create. If people enjoy what you’ve created, terrific. If people ignore what you’ve created, too bad. If people misunderstand what you’ve created, don’t sweat it. And what if people absolutely hate what you’ve created? What if people attack you with savage vitriol, and insult your intelligence, and malign your motives, and drag your good name through the mud? Just smile sweetly and suggest – as politely as you possibly can – that they go make their own fucking art. Then stubbornly continue making yours.” – Elisabeth Gilbert

Viele Faktoren hindern uns daran unsere Kreativität auszuleben. Wir haben Angst davor, nicht originell genug zu sein, nicht talentiert genug zu sein, nicht ernst genommen zu werden oder gar kritisiert oder ignoriert zu werden. Das Problem ist, dass wir immer Bestätigung von außen, von der Gesellschaft suchen. Wir wollen, dass unser Werk als Kunst bezeichnet wird und wenn dies nicht passiert, glauben wir, es sei nicht gut geworden. Wenn wir es schaffen diesen Wunsch nach Bestätigung abzulegen und nur mehr unsere eigene Bestätigung zählt, fällt es uns viel leichter etwas zu kreieren da der Leistungsdruck und das Wettkampfdenken wegfallen. Es geht um den Prozess des kreativen Schaffens und nicht primär um das Ergebnis. Vielleicht wurde das was du kreierst schon einmal von jemand anderen gemacht, aber nicht von dir. Es geht vielmehr um Authentizität als Originalität und darum, dass uns unser kreatives Schaffen Erfüllung schenkt und nicht darum, dass wir etwas produzieren, was gesellschaftlich anerkannt wird. Kreativität ist kein Wettkampf, Kreativität ist ein Prozess, der mal mehr und mal weniger präsent ist im Laufe unseres Lebens und das ist völlig okay. 

-Jana Brandtner

Credits: Giuditta Bertoni

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